von Freddy Kugler
Die Wiler Stadtschützen und rund 100 Kinder marschierten mit musikalischer Begleitung der Stadtharmonie Wil und der Stadttambouren am Freitagabend als bunter Tatzelwurm durch die Innenstadt. Die muntere Kinderschar trug damit zur Erhaltung eines uralten Wiler Brauches bei.
Wenn sich die Wiler Altstadt am frühen Freitagabend vor dem Beginn der Herbstferien schlagartig mit einer grossen Schar von Kindern samt Eltern und Lehrkräften belebt, dann rückt einmal mehr ein alter Wiler Brauch ins Rampenlicht. Mit dem „Steckliträge“ machen die Wiler Stadtschützen mit ihren fünf Sektionen auf das bevorstehende Endschiessen der Gewehr- und Pistolenschützen aufmerksam.
Kreative Kinder
Der Anlass, der auf über 350 Jahre Geschichte zurückblicken kann, führte in Form eines Umzuges vom Hofplatz zur Oberen Bahnhofstrasse und wieder zurück auf den Goldenen Boden in der Altstadt. Gestartet wurde das „Steckliträge“ um 18.15 Uhr mit einem Schwarzpulver-Knall aus den historischen Langgewehren der 300 m- Stadtschützen Charles Hämmerle und Kurt Thalmann. Die Kindergärtler und die Primarschüler tragen auf dem von den Stadttambouren angeführten Umzug die Gaben für die Schützen symbolisch an den Steckli mit. Die Kinder hatten sich zusammen mit ihren Lehrkräften beziehungsweise den Eltern auch in diesem Jahr wieder einiges einfallen lassen. Die im Umzug zur Schau getragenen Bastelarbeiten zeugten von einer liebevoll umgesetzten Kreativität.
1665 wurde das „Steckliträge“ erstmals in einem Protokoll der Stadtschützen erwähnt. Schon damals bildete der Umzug den Auftakt zum Endschiessen. Der farbenfrohe Umzug, an dem sich jeweils auch die Wiler Trachtengruppe beteiligt, lockte dank des schönen Herbstwetters auch in diesem Jahr eine stattliche Menschenschar in die Altstadt. Fester Bestandteil des Korsos sind überdies die von der Cevi Wil gestellten Bäckergesellen mit den an die Zuschauer am Strassenrand verteilten frischen Brezeln, die beiden bunten Pajasse und der zottelige Wiler Bär.
Wehrhafte „Schiessgesellen“
Über die Entstehung des „Steckliträge“ ist wenig bekannt. Zu mittelalterlichen Zeiten musste sich auch das Städtchen Wil immer wieder gegen den Ansturm kriegerischer Horden wehren. Nebst gut gesicherten Stadttoren und Stadtmauern verliess sich die Bevölkerung nicht zuletzt auf die „Schiessgesellen der Stadt“, die Vorgänger der heutigen Stadtschützen. Diese „Schiessgesellen“ genossen ein hohes Ansehen. Deshalb liessen es sich die Obrigkeit und die Gewerbetreibenden nicht nehmen, den Schützen zum Endschiessen allerhand Gaben zukommen zu lassen. Die Wiler Schulkinder trugen die an Steckli gebundenen Gaben schon damals durch die Stadt. Ab 1874 gehörten die Wiler Kadetten, gebildet aus den Knaben der Realschule, ebenfalls zum Umzug, bis diese Form des militärischen Vorunterrichts in den 1920er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgehoben wurde.
Interessant ist, dass einst beim Sammeln der Gaben für das Absenden nach dem Endschiessen nicht nur eine Liste mit den Spendern geführt wurde, sondern dass auch jene Personen, von denen eine Absage kam, namentlich erwähnt wurden.
Süssmost und Brezel
Zum Finale versammelten sich die beteiligten Vereine auf dem Goldenen Boden, wo die Stadtharmonie und die Stadttambouren Jung und Alt mit einem Platzkonzert erfreuten. Für ihre Teilnahme werden die vielen Kinder, welche die multikulturelle Stadt Wil widerspiegeln, jedes Jahr mit Süssmost und Brezeln belohnt.
Mit der Pflege dieses alten Brauchs wird zwischen den Stadtschützen und der Jugend der Stadt eine Brücke geschlagen. Der Anlass der Stadtschützen, die im kommenden Jahr mit verschiedenen Aktivitäten für die Bevölkerung ihr 600-jähriges Bestehen feiern werden, endete für die beteiligten Vereine mit einem Umtrunk im Gewölbekeller des Hofs zu Wil.